Stellungnahme zum geplanten Staatsziele-Bundesverfassungsgesetz – BVG Staatsziele | FWU | Forum Wissenschaft & Umwelt

Das Forum Wissenschaft & Umwelt hat fristgerecht am 13.04.2017 beim BMDW sowie dem Präsidium des Nationalrates nachfolgende Stellungnahme eingebracht.

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

das Forum Wissenschaft & Umwelt dankt für die Gelegenheit, zum Entwurf einer Novellierung des Bundesverfassungsgesetzes über die Nachhaltigkeit, den Tierschutz, den umfassenden Umweltschutz, die Sicherstellung der Wasser- und Lebensmittelversorgung und die Forschung Stellung zu nehmen. Ihrer Aufforderung Folge leistend richten wir die Stellungnahme auch an das Präsidium des Nationalrates. Wir werden uns erlauben, auch weitere Regierungsmitglieder und Nationalratsabgeordnete davon in Kenntnis zu setzen.

Das Forum Wissenschaft & Umwelt wurde Anfang 1985 als Konsequenz aus der Auseinandersetzung um ein Donaukraftwerk Hainburg gegründet. Es hat sich zum Ziel gesetzt, auf wissenschaftlich fundierter Basis für Nachhaltigkeit und Zukunftsfähigkeit, Biodiversität und Bürgerrechte zu arbeiten.

Das Zustandekommen des Bundesverfassungsgesetzes über die Nachhaltigkeit, den Tierschutz, den umfassenden Umweltschutz, die Sicherstellung der Wasser- und Lebensmittelversorgung und die Forschung kann als Konsequenz aus den Erfahrungen der Umweltdiskussionen der 1970er und 1980er Jahre, mit wesentlichen Elementen aus der Hainburg-Debatte, gesehen werden.

Nachhaltigkeit umfasst selbstverständlich wirtschaftliche Aspekte ebenso wie soziale und jene des Umweltschutzes. Die Idee hinter dem BVG Nachhaltigkeit kann auch in den stenographischen Protokollen gut nachvollzogen werden.

Der Nachhaltigkeitsbegriff etwa nach Brundtland1 impliziert, dass wirtschaftliche Aktivitäten im Rahmen ökologischer Grenzen stattfinden. Solche Grenzen sind aktuell u. a. definiert durch internationale, völkerrechtlich verbindliche Übereinkommen, denen Österreich beigetreten ist, wie z.B. die Agenda 2030 (Nachhaltigkeitsziele – SDGs) oder das Klimaschutz-Übereinkommen von Paris 2015.

Es liegt daher nahe, den aktuellen Novellierungsvorschlag als einseitige Schwerpunktsetzung zur Veränderung dieses Rahmens zu verstehen, und dies im Sinne eines rückwärtsgewandten Wirtschaftsstils bzw. im Interesse von Lobbys, die ihre Geschäfte ohne Rücksicht auf Zukunftsfähigkeit weiter wie bisher betreiben wollen.

Der Anlassfall dafür ist gut erinnerlich: Die Auseinandersetzung um die dritte Piste beim Flughafen Schwechat im Jahr 2017, wo Gerichte und Richter öffentlich verbal heftig attackiert wurden, Entscheidungen den Gerichten entzogen und der Politik anheimgestellt werden sollten und künftige Interessenabwägungen noch stärker als schon bisher kurzsichtige und partikuläre wirtschaftliche Aspekte berücksichtigen sollten.

Dazu ist anzumerken, dass in der aktuellen Situation nicht einmal der Betreiber des Flughafens Willens sein kann, dieses Bauwerk zu errichten, weil die Entwicklung der Flugbewegungen konträr ist zu den der Planung zugrundeliegenden (s. Abbildung im Anhang). Es ist als Leuchtturmprojekt für die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung wohl nicht ernsthaft zu vertreten.

Keinesfalls kann es bei der Novellierung darum gehen, Erwerbsfreiheit zu sichern. Dafür sorgen schon die Grundrechte Eigentum und Erwerbsfreiheit. Eine Diskussion über die Grundbegriffe von Wettbewerbsfähigkeit, Wirtschaftswachstum, Wohlstand und Wohlbefinden als Grundlage für die Entwicklung zukunftsfähiger Wirtschaftsstile wird dagegen dringend empfohlen.

Auch Vorblatt und Erläuterungen zur aktuellen Novellierungsidee leisten nämlich dem Verdacht Vorschub, es gehe um eine rückwärtsgewandte Wirtschaftsstrategie, die auf Dauer nicht haltbar ist:

  • Es wird ein Gegensatz zwischen Wirtschaft und Umwelt aufgebaut statt die Voraussetzungen für ein integratives Vorgehen zu verbessern.
  • Unter „Wirtschaftswachstum“ ist offenbar ein „klassisches“ gemeint, nämlich ein rein materielles Wachstum. Dies obwohl allgemein bekannt ist, dass in einem begrenzten System ein materielles Wachstum auf Dauer nicht funktionieren kann. Es steht diese Sicht der Dinge jedenfalls im Widerspruch zur Nachhaltigkeit. Es sei darauf hingewiesen, dass dringend eine wissenschaftlich fundierte Debatte darüber zu führen wäre, was Wirtschaftswachstum sein kann, was Wohlstand und Wohlbefinden bedeuten. Dafür gibt es zwar Überlegungen2 zu Kriterien und Indikatoren, der gesellschaftliche Diskurs dazu ist aber keineswegs abgeschlossen und es fehlt daher die Umsetzung in Politik und Praxis. Insbesondere ist das Bruttoinlandsprodukt sicherlich kein Maß für den Wohlstand der Bevölkerung, erst recht nicht für deren Wohlbefinden.

Somit ist festzuhalten:

  • Es besteht kein Bedarf dafür, den Begriff der Nachhaltigkeit in Richtung (einer nicht näher definierten, vermutlich nicht mehr aktuellen) Wirtschaftlichkeit neu zu gewichten.
  • Wettbewerbsfähigkeit wird durch Innovation und Erkennen der Herausforderungen der Zukunft zu sichern sein und nicht durch Prolongation eines herkömmlichen, nicht zukunftsfähigen Wirtschaftsstils.
  • Die grundlegenden Begriffe der Wettbewerbsfähigkeit, des Wirtschaftswachstums etc. bedürfen einer fundierten Analyse und neuer Definitionen.

Das Forum Wissenschaft & Umwelt lehnt aus all diesen Gründen den aktuellen Novellierungsvorschlag ab.

Das FWU ist Teil von „SDG Watch Austria“, einer Plattform, die von mehr als 120 NGOs getragen wird. Dieses breite zivilgesellschaftliche Bündnis setzt sich für die Erreichung der Nachhaltigkeitsziele im Sinne der Agenda 2030 ein, zu der sich Österreich im Rahmen der Vereinten Nationen verpflichtet hat. Der Erreichung dieser Ziele muss absoluter Vorrang vor partikulären Interessen zugestanden werden. Wirtschaft kann nur im Einklang mit einer zukunftsfähigen Entwicklung nachhaltig erfolgreich sein.

Allenfalls können wir uns mit Formulierungen wie der folgenden einverstanden erklären:

„Die Republik Österreich (Bund, Länder und Gemeinden) bekennt sich zur Nachhaltigkeit, die ökologische, soziale und ökonomische Aspekte ausgewogen berücksichtigt und damit Grundlage ist für die Entwicklung eines Lebens- und Wirtschaftsstils, der auf Dauer gelebt werden kann.“

Mit freundlichen Grüßen

Prof. Dr. Reinhold Christian Univ-Prof.in Dr.in phil. Helga Kromp-Kolb  Univ.-Doz. Dr. Peter Weish
Geschäftsführender Präsident Präsidentin  Präsident

Rückfragen bitte an Prof. Dr. Reinhold Christian: 0699/120 18 571; office@fwu.at

1: Nachhaltig ist eine Entwicklung, „die den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen und ihren Lebensstil zu wählen.“

2: 2009 – die Kommission zur Messung der Wirtschaftsleistung und des sozialen Fortschritts veröffentlicht den Bericht der Stiglitz-Sen-Fitoussi-Kommission (SFF-Kommission). Dieser spricht 12 Empfehlungen zur genaueren Messung der Wirtschaftsleistung, des gesellschaftlichen Wohlbefindens und der Nachhaltigkeit aus. Weitere Informationen unter: http://ec.europa.eu/eurostat/de/web/gdp-and-beyond/background 11.04.2018

Anhang zur FWU-Stellungnahme