30 Jahre Hainburg (2014) | FWU | Forum Wissenschaft & Umwelt

Das Jubiläum „30 Jahre Hainburg“ fand im Jahr 2014 statt. Das Forum Wissenschaft & Umwelt erinnerte an dieses Ereignis.

Nachfolgend finden Sie die ersten Artikel zu einer Reihe, welche die Sicht der damaligen und aktuellen Entwicklung, vor allem der individuellen Beiträge und Position für die Zukunft darstellt.

Einen Artikel des geschäftsführenden Präsidenten vom Forum Wissenschaft & Umwelt finden Sie als Einleitung. Beiträge von Univ. Prof. Dr. Bernd Lötsch, Univ.-Lektor i.R. Mag. Dr. Gernot Neuwirth. Univ. Doz. Dr. Peter Weish, Doz. Dr. Michael Stachowitsch sowie MEP Mag. Othmar Karas, M.B.L.-HSG sind bereits online.

30 Jahre Hainburg – Erinnerungen und Perspektiven

Kraftwerksbau oder Naturschutz, die Rettung und Erhaltung der einzigartigen Auen-Landschaft – das war das Spannungsfeld von „Hainburg 1984“. Der denkwürdigen Entscheidung, das Kraftwerk nicht zu errichten, folgten freilich noch 12 Jahre Diskussionen, Planungen, und zahlreiche Vorstöße für Kraftwerksbauten, bevor es mir mit einem kleinen Planungsteam in der Marchfeldkanal-Gesellschaft im Auftrag des Bundes und der Länder Niederösterreich und Wien gelang, den Schutz der Donau-Auen als Nationalpark (wohl endgültig) sicher zu stellen.

Naturschutz war nicht der einzige Aspekt: Dahinter – und ganz wesentlich für die folgenden Entscheidungen – wirkten demokratiepolitische Werte. War es beim Kampf gegen Zwentendorf gelungen, die Barriere der Technik- Wirtschafts- und Wissenschaftsgläubigkeit zu durchbrechen, ging es bei Hainburg um Fragen von Macht und Verantwortung, um Untertanen – Mentalität oder Bürgerrechte. Naturschutz wurde gegen „die da oben“ durchgesetzt. Viele Österreicherinnen und Österreicher, die die Donau-Auen nie gesehen hatten und auch nicht besuchen würden, solidarisierten sich mit den Kraftwerksgegnern. „So darf man mit uns nicht umgehen, das lassen wir uns nicht gefallen!“

Ein drittes wichtiges Thema war die Energiewirtschaft. Das war der Bereich, wo ich themenspezifisch und sehr konkret beitragen konnte. Argumenten wie „das Kraftwerk rettet die Au“, „das Kraftwerk sichert die künftige Energieversorgung“ etc. stellten wir in der österreichischen Gesellschaft für Ökologie eine Studie „Energie 2030 – der sanfte Weg“ gegenüber, in der wir zeigten, dass nicht die zusätzliche Energiegewinnung, sondern die effiziente Nutzung der energetischen Ressourcen entscheidend ist für ein zukunftsfähiges Energiesystem. In dieser Studie habe ich das damals bahnbrechende Konzept der Energiedienstleistungen formuliert: Es geht nicht um unmittelbaren Energiekonsum, sondern um Produkte und Dienstleistungen, zu deren Erstellung und Realisierung Energie benötigt wird. Transporte, Raumwärme, beleuchtete Flächen etc. können mit mehr oder weniger Energie bereitgestellt werden. Die Potentiale zur Senkung des Energiebedarfs waren auch damals enorm. Nicht weitere Naturzerstörung, sondern effiziente Ressourcennutzung sichert die Energiezukunft. Die beste und die billigste Kilowattstunde ist die eingesparte Kilowattstunde – so lauteten damals unsere Headlines.

Heute finden wir uns in einer ähnlichen Situation wieder: Wasserkraft und Windenergie sollen ohne Rücksicht auf Schädigung der Natur ausgebaut werden, weil sie dem Klimaschutz dienen. Solche pauschale Vorwände sind heute genauso unredlich wie damals.

Mittlerweile konnte Umwelt Management Austria gemeinsam mit dem Forum Wissenschaft & Umwelt und dem Institut für industrielle Ökologie in der Studie „Zukunftsfähige Energieversorgung für Österreich“ (ZEFÖ) zeigen, dass eine Vollversorgung Österreichs mit erneuerbaren Energieträgern langfristig (Zeithorizont 2050) technisch durchaus ökologisch realistisch werden kann, allerdings eine große Herausforderung darstellt, da sie Umstellungen in allen Lebens- und Wirtschaftsbereichen notwendig macht. – Dies obwohl eine solche Energiewende bei kluger Nutzung der Effizienzpotentiale keine gravierenden Änderungen oder Einschnitte in unserem Lebensstil und Komfort verlangt.

Heute wird die Energiewende von manchen heftig kritisiert. Die Betrachtung der langfristigen Perspektive zeigt aber eindeutig und unwiderlegbar, dass ein „weiter wie bisher“ nicht möglich ist. Kritik an der Energiewende legt lediglich die kurzfristigen Interessen derer offen, die so argumentieren.

Das Ziel der Energiewende lohnt dagegen die erforderlichen Anstrengungen: Von Umweltqualität und Klimaschutz bis zu volkswirtschaftlichen und individuellen positiven sozialen Auswirkungen, von Unabhängigkeit von Energieimporten bis Einkommen und Arbeit im Inland reicht eine breite Palette positiver Aspekte, wie kürzlich ein interdisziplinäres Wissenschafterteam den Vorschlägen dieser Studie bestätigt hat.

Prof. Dr. Reinhold Christian
Geschäftsführender Präsident Forum Wissenschaft & Umwelt

 

DAS WUNDER VON HAINBURG – Zeitzeugen-Analyse von Bernd Lötsch

Ich war damals Leiter des Instituts für Umweltwissenschaften und Naturschutz (Abt. Wien) der Österr. Akademie der Wissenschaften; seit 1972 im Auenschutz engagiert, ab Feb. 1984, mit allen Institutsmitgliedern (Peter Weish, R. Stifter, G. Geissler, H. Momen) und freien Mitarbeitern (K. Momen, G. Navara, R. Golebiowski, W. Gamerith, R. Gayl u.a.), an der Besetzung bzw. zwischen Au und Parlament engagiert. 1985 in der Ökologiekommission der Regierung für die Donau östl. von Wien (Leiter des Arbeitskreises Nationalpark, ab 1987 Vorsitzender des Plenums), 1986-91 Präsident der NP Planung Donau-Auen, Auftraggeber der ersten Wasserbaustudien gegen die Sohlerosion, stromabwärts von Donaustaustufen; Initiator von „Natur freikaufen“(1990) zur definitiven Erzwingung des Auen Nationalparks.

Dank gebührt dem damals noch jungen WWF. Dessen Hilfe kam zunächst aus der Schweiz, da der Industrielle Mauthner Markhof, Präsident des österreichischen WWF, zögerte, gegen das Großkraftwerk aufzutreten. So finanzierte der Schweizer WWF das kleine aber wirksame Büro „Rettet die Auen“ in Wien (K. Wagner, G. Navara u.a.). Legendär ist das nächtliche Auftauchen von WWF-Chef Roland Wiederkehr, in der von Polizei mit Hundestaffeln umstellten eiskalten Au. „Ausgerechnet jetzt, im dreckigsten Moment – als Schweizer?“ fragten wir ihn fassungslos.  „Gerade als Schweizer“ meinte er selbstironisch „ich muss doch nachsehen, ob das Geld gut angelegt war!“

Noch ein Schweizer ist nicht wegzudenken: Roberto Epple, dessen bewegendes Video der Dramatik von Hainburg authentisch und stimmig ein Denkmal setzte und in ungezählten Veranstaltungen als ermutigende Botschaft weiterwirkte und noch immer wirkt.

Was konnte ein im Detail geplantes und ausfinanziertes Milliardenprojekt noch stoppen?

Erstens, das Überraschungsmoment – auch für uns selbst! Wir glaubten uns in der Minderheit, wollten vor der (Welt-)Öffentlichkeit nur ein Zeichen setzen, dass hier Recht gebrochen wird.

An diesem Montag 10.12.1984, Rodungsbeginn, waren wir nur ein paar Hundert, ineinander verschränkt, um den winterlichen Wasserwald mit unseren Körpern gegen die Baumaschinen zu decken, Wir wurden schließlich „geräumt“, sahen zähneknirschend einige Bäume stürzen, mit ihnen auch den Glauben an die Demokratie. Ich gab im Dunkeln Herrn Adrowitzer (Ö1) noch ein erbittertes Interview aus der Au – doch am nächsten Tag kamen Tausende, …

Zweitens, das Prinzip Gewaltfreiheit: Umweltaktivist Günther Schobesberger hatte diese psychologische Verhaltenstechnik beim Gandhi-Gefährten Bahaguna gelernt. Sie hielt, gestärkt durch die Appelle des besorgten Aggressionsforschers Konrad Lorenz, die wir täglich von Lager zu Lager trugen und durch die Verschmelzung von Umwelt- und Friedensbewegung – jedenfalls auf Seiten der Aubesetzer.

Schon am ersten Tag erlebten wir den Mut der Gewaltfreiheit – als sich Dr. Dr. Günther Nenning und die Grande Dame der Umweltbewegung, Freda Meissner-Blau, ungeschützt dicht vor Arbeiter mit kreischenden Motorsägen stellten, Mädchen sich an Bäume und Bagger klammerten und Burschen in die Kronen ketteten – bereit, sich mit den Auwald Riesen fällen zu lassen.

Unsere stärksten Stützen waren hier Radio Ö1 und die „Krone“ Hans Dichands  – sowie die Umweltverbände und die Österreichische Hochschülerschaft, unter Herbert Rainer und Gerhard Heilingbrunner, die z.B. die Busse von den Unis in die Au organisierten.

Drittens, direkte Gespräche – ich erinnere mich an insgesamt 13 Stunden Verhandlungen mit der Regierung – meist im nächtlichen Parlament, die Angst der Mächtigen vor Gesichtsverlust – zwischen Verhärtung und menschlichen Momenten, wiederholtem Auspendeln der Spitzenpolitiker in Nebenräume (zu Verbund-, DoKW-, Industrie- und Gewerkschaftsspitzen) und an ihre versteinerten Gesichter bei der Rückkehr an den Verhandlungstisch. Wir erreichten vier Tage „Waffen“-Stillstand, Zeit für das österreichische „Wunder“ einer spontanen Selbstorganisation: Decken, Zelte, Strohballen, Erdhäuser, Mülltrennung, Feldlatrinen, Funkzentrale, Taschenlampen und Verpflegung aus ganz Österreich.

Viertens: medial ungeschickte Kraftwerks-Betreiber voll provokanter Überheblichkeit:

So kanzelte LR Brezovszky den, ihm unterstellten Naturschutzleiter Dr. Czwiertnia vor laufenden Kameras ab, „sein Widerspruch sei Privatmeinung, aber rechtlich völlig irrelevant“. Dagegen stand die Leitgestalt Konrad Lorenz, „Umweltgewissen der Nation“. Die DoKW Parolen von der angeblichen „Rettung der Flussauen durch Stau“ fegte er souverän weg. „Man kann nichts retten indem man es zerstört“. Ihm zur Seite, eine wachsende Armada aus Wissenschaft, Kunst und Kultur: Peter Turrini, Jörg Mauthe, Andre Heller, Arik Brauer und Friedensreich Hundertwasser (der seinen Staatspreis öffentlich zerriss). Schon Mai 1984 war sogar der hoffnungsvollste Politnachwuchs zur legendären „Pressekonferenz der Tiere“ in der Concordia erschienen z.B.: „Kormoran“ Othmar Karas, „Laufkäfer“ Gerhard Heilingbrunner, „Eisvogel“ Herbert Rainer, die Jungsozialisten Michael Häupl, Alfred Gusenbauer und Josef Cap neben Großkalibern wie „Schwarzstorch“ Jörg Mauthe,“Rotbauchunke“ PeterTurrini und „Rothirsch“ G.Nenning.

Prominente Auslandsösterreicher wie der Dramatiker Fritz Hochwälder und Literatur-Nobelpreisträger 1981, Elias Canetti, appellierten an den Bundespräsidenten.

Fünftens: Das Unrecht der KW-Betreiber und unser Gang vor die Höchstgerichte: Das KW-Projekt Hainburg brach sowohl Landes-, wie Bundesgesetze

 

  • mit sieben Quadratkilometern direkten Auwaldverlustes,
  • einem Querbauwerk von 500 m,
  • Stauspiegelanhebung in die Höhe der höchsten Baumkronen und
  • Verödung der Flusslandschaft durch ein linealisches Dammkorsett in Höhe viergeschossiger Häuser, welches sich auslaufend bis unterhalb Wiens erstrecken sollte.

Die Genehmigung durch den NÖ Naturschutz-LR Brezovszky unter Hinwegsetzung über alle – kritischen – Gutachten, war ein Schlag ins Gesicht aller Wissenden.

Allein die Art, wie der Politiker Brezovszky seine Sache vertrat, machte ihn zu einem „Traumgegner“. Meinungsforscher fanden, jedes Mal, wenn er im TV den Mund aufmache, gewänne die Hainburg-Bewegung einige zehntausend Sympathisanten mehr. Das KW Hainburg wäre, mit rund 5% des damaligen österreichischen Stromverbrauchs bzw. 1% des Gesamtenergieverbrauchs (im Sommer etwas mehr, im Winter deutlich weniger) sicher nicht der Nabel unserer Energieversorgung geworden.

Der andere schwere Rechtsbruch betraf das Wasserrechtsgesetz. Fachleute wussten längst, dass die Amputation der Au vom Fluss, durch dichte Dämme mit stählernen „Spundwänden“ bis tief in den Grundwasserhorizont, zum Verlust der Trinkwasserqualität führen würde. Die intakten Donau-Auen sind der beste Trinkwasserspeicher des Tieflandes (ohne die Nitrat- und Pestizid-Probleme). Hier stand die Trinkwasserreserve von 800.000 Einwohnern auf dem Spiel.

Am 21. Dezember brachten die Anwälte des WWF beim Verwaltungsgerichtshof Beschwerde gegen diese Mißachtung des Wasserrechtsgesetzes ein – und bereits am 2. Jänner 1985 (!) verfügten die Höchstrichter die „aufschiebende Wirkung“  – das hieß: Baustopp (Im Juli 1986 wurde der Wasserrechts-Bescheid dann völlig aufgehoben.)!

Eine als chaotisch, anarchisch und illegal geltende Massenbewegung hat „den Rechtstaat nicht ausgehebelt“, sondern vielmehr dem Rechtstaat erst zum Durchbruch verholfen! Die Aubesetzung hat den nötigen Rodungsaufschub erreicht, um dem Höchstgericht die Zeit für sein entscheidendes „Erkenntnis“ zu ermöglichen (Ob – im Falle einer bereits komplett flachgelegten Au – die Höchstrichter ebenso unglaublich rasch und eindeutig geurteilt hätten, werden wir nie erfahren.).

Bis zum Auen-Nationalpark brauchte es noch 12 Jahre Kampf gegen neue Projekte. Erst unser „Schutzkauf“, den ich 1989 mit Freund Hundertwasser initiieren konnte, die Sicherung von strategischen 4,11 km2 Au bei Regelsbrunn durch 120.000 Spender, vereitelte jeden weiteren Stau und zwang die Politik zum Nationalpark. „Besitzen statt Besetzen, Kaufen statt Raufen“ als letzter Handstreich.

Univ. Prof. Dr. Bernd Lötsch
co/ Abteilung Ökologie
Naturhistorisches Museum
1010 Wien

 

Hainburger Aubesetzung 1984‬ – Bericht von Gernot Neuwirth

November 1984: In der Mensa der WU sammelt ein Jüngling Unterschriften für den Kraftwerksbau. Die meisten Studentinnen und Studenten schneiden ihn. Es wird Zeit, hinunterzufahren. Als Lehrbeauftragter und Beamter an der Wirtschaftsuniversität darf ich nicht während des Semesters einfach eine Woche auf Urlaub fahren, auch wenn ich sogar an der WU vielerorts Sympathie fühle. So werde ich mir einzelne Tage freinehmen.

Einmal werde ich auch über Nacht bleiben können. Dafür packe ich Schlafsack und warme Kleider zusammen – Zelt hab ich keines – und setze mich in den von der ÖH organisierten Bus. Bei der Ankunft in Stopfenreuth große Betriebsamkeit, man wird eingeteilt, welches „Lager“ man verstärken soll. Am Hinweg frage ich sicherheitshalber ein heimkehrendes Pärchen, ob drinnen in der Au vielleicht das Essen knapp ist. Sie lachen herzlich. „Es ist eine Mastkur“, sagen sie.

Ich finde mein Lager, auch dort reges Treiben. Strohballen, von Bauern gespendet, werden in die einzelnen Zelte und sonstigen Bauwerke gezerrt, denn es verspricht kalt zu werden. Zwei Burschen streiten um einen Ballen, verprügeln einander fast. Die DoKW würde sich freuen.

Ansonsten gespannt-friedliche Stimmung. Es wird Zeit, Unterschlupf zu finden, sonst müsste ich mit dem letzten Zug zurück. Eine „Hütte“ aus Stroh ist nur halb mit wild aussehenden Gestalten belegt, sie bieten mir einen Schlafplatz an. Durch einige Löcher wird es ziehen. Die Gestalten sind „Linke“, aber seit Zwentendorf weiß ich, dass auch Linke die Nase mitten im Gesicht haben wie ich, dass auch sie ernstlich besorgt um die Umwelt sind und ihr Einsatz lautere Motive hat. Auch wenn sie nicht ganz identisch sind mit meinem mehr bürgerlichen und mir der Ungehorsam gegen die Obrigkeit weniger Spaß macht als ihnen.

Nach zwei Stunden Zugluft freue ich mich, draußen bekannte Stimmen zu hören – es ist Peter Weish vom Institut für Umweltwissenschaften, für das ich fallweise Übersetzungen gemacht habe, und er hat in seinem Zelt noch einen Schlafplatz frei. Ich bedanke mich artig bei meinen Gastgebern und übersiedle.

Glück gehabt, denn Friedensreich Hundertwasser und Prof. Alexander Tollmann, die gleich danach ankommen, werden die Nacht im Freien in der Nähe „meines“ Zeltes verbringen müssen. Letzterer hat seine gesamte Expeditionsausrüstung mitgenommen, jemand hat sich freundlicherweise bereit erklärt, sie zum Lager zu transportieren, aber dies leider nicht getan – ein eingeschleuster Saboteur? Oder ein gewöhnlicher Gauner? Jedenfalls harrt Tollman nun frierend, nur in eine Decke gehüllt, die ganze Nacht aus und sieht seine Sachen später nie wieder. Hundertwasser andererseits liegt ausgestreckt auf der nackten Erde, einen dicken Pelzmantel um sich und um die junge Dame geschlungen, die er mitwärmt.

In der „Lagerküche“, einem Bau aus Ästen und Steinen, brodelt ein großer Kessel mit schmackhafter Suppe, die sich laufend verändert, weil laufend neue Spenden einlangen und gleich verarbeitet werden. In der Nacht ist es meinem damals 44-jährigen Organismus zu kalt und ich bleibe die ganze Zeit wach, während Peter doch ein paar Stunden deutlich hörbar schläft.

Am frühen Morgen durchkämmt Gendarmerie das Lager, und plötzlich knallen Schüsse. Aber die kommen aus den Stoppelrevolvern von ein paar halbwüchsigen Rotzbuben, die gerne Panik auslösen würden. Außer mir beachtet sie aber niemand. Die Gendarmen bleiben höflich und korrekt, noch ist nicht der 19. Dezember.

Es ist Zeit, in den Dienst zu fahren, Doz. Weish wird mich im Auto mitnehmen. Wir torkeln Richtung Ausgang, müssen die „Ghandi-Barrikade“ und einige andere umgehen, jede bewacht von ein paar Aktivisten, die uns zum Bleiben auffordern. „Leider, wir müssen in d´ Hackn,“ sagen wir, und sie nicken verständnisvoll.

Am Wochenende sagen sie im Radio, dass die Gendarmerie – rechtswidrig – die Busse der ÖH aufhält und zum Umkehren zwingt. Ich habe mein Auto aus ökologischen Überlegungen vor ein paar Jahren verkauft, bin aber so kindlich, dass ich immer noch gerne ein Lenkrad drehen möchte. Endlich eine Gelegenheit, dies sinnvoll zu tun. Ich miete einen Kleinbus, kaufe ein paar hundert rotweißrote Papierfähnchen, fahre zur Organisationszentrale in der Alserstraße, wo die Spenden gesammelt werden. Fülle dort den Bus halb voll mit Lebensmitteln und Decken und fahre zur nun brachliegenden „Busstation“ bei der Uni. Dort warten tatsächlich ein paar einsame Besetzer, die fahre ich hinunter, gebe die Spenden in Stopfenreuth ab, verteile die Fähnchen in den Lagern, stoße dabei nur einmal auf Unverständnis („diese Fahne hat für mich ungute Assoziationen“, lehnt einer ab).

Vor der Abfahrt aus Wien habe ich noch schnell an der WU für ein Protest-Fernschreiben (damals mit riesigen Geräten auf Lochstreifen zu stanzen) ein paar Unterschriften von Professoren und Studenten gesammelt und zeige den Text nun Bernd Lötsch. Der verliest ihn gleich in mehreren Lagern – und einmal bricht in einer Ecke großer Jubel aus. Bei jeder Unterschrift brandet Applaus auf. Hier ist tatsächlich eine Gruppe von der WU!

In der Abenddämmerung geh ich zum Bus zurück, hinter ein paar Gestalten, die sich misstrauisch umsehen.  „Von welchem Verein seid ihr?“ frage ich. „Wir sind Autonome“, ist die Antwort. „Und von wo?“. Da sehen sie sich vielsagend an und schweigen. Es ist ihnen jetzt klar, dass ich „Stapo“ sein muss. Traue keinem über dreißig – der Verfolgungswahn hat ein bisschen auch in der Au Einzug gehalten. Im Großen und Ganzen aber spüre ich bei jedem Besuch die wunderbare Gemeinschaft der Besetzer, deren Motivation überwiegend die Sorge um die gefährdete Natur ist.

Mit dem Bus fahre ich das halbe Wochenende hin und her, an beiden Endstellen warten immer ein paar Hoffnungsfrohe. Dann dürfen die ÖH-Busse wieder fahren.

Nochmals fahre ich mit der Bahn hinunter, und bei der Rückfahrt kann ich wieder ein Lenkrad drehen, ein total erschöpfter Freund lässt sich von mir in seiner Dyane zurückfahren, auf den Rücksitzen eine schlafende Tochter des Arik Brauer und ihr Freund. Mit der Kunst hab ich in wenigen Tagen mehr Berührung als sonst in Jahren.

Bald darauf fahre ich mit einem anderen Freund, der noch ein Auto hat, wieder hinunter und bei der Rückfahrt vertraut uns der Gottfried Helnwein seine Frau und ein Kind an. Mit dem anderen geht er wieder zurück in die Au.

Am „Tag der Schande“, der blutigen Prügeleien, fahren wir nochmals hinunter, können aber nicht mehr hinein. Verstörte DemonstrantInnen erzählen von Polizeibrutalität besonders gegenüber Mädchen, vom Einsatz von Hunden und von Scheinangriffen mit Hubschraubern.

Noch am Vormittag machen wir uns auf den Rückweg, sehen am Rand der Au große Wiesen mit hunderten Rotkreuzfahrzeugen. Die hat unsere vorsorgliche Regierung für die Opfer der „Räumung“ hinbestellt. Ich frage einen Sanitäter, wie viele Rettungswagen da sind, aber der darf das nicht sagen.

In Wien angekommen, staunen wir über die Massen, die sich schon bei der Oper gegen das brutale Vorgehen der Regierung formiert haben. Auch diese staunt, denn sie hat geglaubt, alle Interessierten seien eh in der Au, … Und am Weg zum Ballhausplatz werden es immer mehr. Ich erzähle, dass ich von der Au komme. Die Mitmarschierer verstehen das falsch, glauben, ich sei durchgefroren und ausgehungert, fischen in ihren Manteltaschen nach Schokolade und Wurstbroten.

Ein paar Tage später wird der Weihnachtsfriede ausgerufen, später die Denkpause, und viel später der Nationalpark. Und doch können wir das Kapitel Donau immer noch nicht abhaken, …

Univ.-Lektor i.R. Mag. Dr. Gernot Neuwirth war Lehrbeauftragter für Englisch und für Umweltpolitik an der Wirtschaftsuniversität Wien und an anderen österreichischen und amerikanischen Universitäten

30 Jahre Hainburg – Kommentar von Peter Weish

Der Erfolg im Hainburg-Konflikt hat eine Vorgeschichte: Die jahrelange Auseinandersetzung um die Atomkraft, die am 5. November 1978 das aus für
das AKW Zwentendorf brachte. Die junge Ökologiebewegung war selbstbewusst, hatte gute Kontakte zu umweltbewussten Journalisten geknüpft
und war sachverständig in Energiefragen. Wichtig war vor allem die Erfahrung: Wenn wir uns gemeinsam für gemeinsame Interessen engagieren, sind wir
unschlagbar. Ideologische Barrieren wurden überwunden, das Erfolgsprinzip der Mächtigen, „teile und herrsche“ außer Kraft gesetzt.

Wirksamer Naturschutz ist ein wesentlicher Teil eines zukunftsfähigen tiefgreifenden Systemwandels. Sanfte Wege im Umgang mit Energie und
Rohstoffen, im Bereich Landwirtschaft und Ernährung, des Wirtschaftens und der Konfliktaustragung sind längst nicht nur mehr Theorie. Ihrer vorrangigen
Umsetzung stehen allerdings gut organisierte, mächtige Interessen entgegen. Die Zivilgesellschaft steht daher erstens vor der großen Bildungsaufgabe,
einen breiten Basiskonsens über einen lebensfreundlichen Systemwandel zu schaffen und zweitens vor der politischen Aufgabe, Druck aufzubauen, der die
notwendigen politischen Entscheidungen erst möglich macht.

Univ. Doz. Dr. Peter Weish

DER GEIST VON HAINBURG. Rede anläßlich der Sternwanderung am 8. Dezember 1994 in der Stopfenreuther Au
von Univ. Doz. Dr. Peter Weish

Stellungnahme der Aktionsgemeinschaft gegen das Kraftwerk Hainburg von 1984

30 Jahre Hainburg – Beitrag von Michael Stachowitsch

The projected hydropower station in Hainburg was a watershed moment for many Austrians, above all because it elevated an environmental issue to the highest political level in the country. Importantly, individual efforts and public outcry – with scientific backing – ultimately reversed the official government position. My more immediate recollection is of three young scientists braving the wintry weather in a two-man tent, the third colleague being an unexpected guest who came for the day but ended up spending the night – without a sleeping bag and shivering despite being sandwiched between us. In retrospect, Hainburg helped shape my research focus because it underscored the necessity of protecting habitats to protect species, i.e. the role of nature conservation in species protection. Moreover, people’s different views on Hainburg highlighted what would become a key tenet in environmental sciences: the shifting baseline syndrome. While many argued that only a fraction of the floodplain forest was slated to be lost, few fully recognized that what they considered to be the “whole” was actually itself only a tiny remnant of the former extensive riverine ecosystem. It was also a rare gift to me personally to be able to have a hand in influencing the outcome of an environmental struggle. This is because, as a marine biologist in a landlocked country, I am a foreigner and guest in the seas I work on. Guests are not supposed to remodel the house. One hope is that modern information technology will enable everyone everywhere to prevent the worst ecological transgressions and help shape a functioning world based on functioning ecosystems.

Michael Stachowitsch
Dept. of Limnology & Bio-Oceanography

30 Jahre Hainburg – Statement von Othmar Karas

Der aktive Einsatz für den Erhalt der Hainburger AU und gegen eine Politik des ‚drüber fahren‘ und die ‚mir san mir-Mentalität‘ war für mich selbstverständlich. Ich war schon in der Anti-AKW-Bewegung aktiv und gründete mit vielen späteren Hainburg-Besetzern 1983 die Zukunftswerkstätte Kraftfeld in Längenfeld im Ötztal. Die Au, die heute das Herzstück des Nationalparks ist, ist ein einzigartiges Naturgebiet. Es ging um den Schutz einerseits und andererseits um das Aufbegehren gegen eine
Politik der Ignoranz gegenüber Recht, Natur und Mensch.

Nicht nur die Teilnehmer der Pressekonferenz der Tiere am 07. Mai 1984 – ich war der Kormoran -, sondern eine ganze Bewegung vieler Menschen setzten sich über parteipolitische Grenzen hinweg ein. Es ging um den Einsatz für die Sache. Dieses Erlebnis hat mich geprägt. Die Suche nach dem nachhaltigen Gemeinsamen, nach einem offenen Umgang miteinander, nach Dialog zwischen Parteien, Religionen, Interessen, Kulturen muss zu Selbstverständlichkeit werden.

Heute spielt die Europäische Union eine besondere Rolle im Bereich des Umweltschutzes. Eine Energiewende oder eine für alle Mitgliedsländer verpflichtende Grundrechte-Charta ist ohne der EU als unsere Zukunftsgemeinschaft nicht umsetzbar. Doch auch hier liegt es an der Bereitschaft zur Zusammenarbeit Aller, gemeinsam die Ziele erreichen zu wollen. Es liegt an uns nie aufzugeben, sondern vorbildlich zu werken. Die Hainburger Au ist auch 30 Jahre danach noch immer überall. Die Erfahrungen von damals und der Erfolg geben uns Kraft!

MEP Mag. Othmar Karas, M.B.L.-HSG